

Marxismus und Geschichte
pp. 207-222
in: , Der Mensch inmitten der Geschichte, Stuttgart, Metzler, 1990Abstract
Der Titel Marxismus und Geschichte hat einen doppelten Sinn: er meint, daß die theoretische Lehre von Marx in der Welt Geschichte gemacht hat; er meint aber auch, daß Marx schon selber geschichtlich gedacht hat. Beides ist so verschieden wie eine philosophische Theorie der Weltgeschichte von der weltpolitischen Praxis; beides gehört in diesem besonderen Fall aber auch zusammen, nämlich so, wie der weltgeschichtlich gewordene Marxismus mit der Lehre von Marx. Auch andere Denker, wie Bossuet und Vico, Spengler und Toynbee, haben geschichtsphilosophische Theorien entwickelt, aber es gibt keinen dem Marxismus vergleichbaren Vicoismus oder Spenglerismus; das heißt, es gibt keine weltgeschichtliche Bewegung, die beanspruchen könnte, die Philosophie der Geschichte von Bossuet, Vico, Spengler und Toynbee zu praktizieren. Um den Unterschied und Zusammenhang von historischer Theorie und geschichtlicher Praxis im Marxismus deutlich zu machen, muß man sich zunächst darüber verständigen, was man unter Marxismus verstehen will. Was man darunter verstehen will, darf nicht willkürlich sein. Es muß sich an der mit solchen Worten gemeinten Sache orientieren. Der Marxismus von Lenin, Stalin und Mao Tsetung mag noch so verschieden und von dem, was Marx selber dachte und wollte, unterschieden sein, er orientiert sich doch fortwährend an der Lehre von Marx. Marxismus kann seinem ursprünglichen Sinne nach nichts anderes sein als die weltgeschichtlich gewordene Lehre von Marx, und zwar seine ganze Lehre.